MESH

Ein tragikomisches Theaterstück
für vier weibliche und zwei männliche Rollen

Auszug

Akt 3, Szenen 8-12 (PDF, auf Anfrage).

Exposé

Das bis dahin ruhige Leben der Barbesitzerin Esmeralda gerät aus den Fugen, nachdem einer ihrer Stammgäste, der Krebsforscher von Eiligsen, mit MESH ein neues, hochwirksames Mittel gegen Krebs entwickelt. Die vielversprechende Substanz, so erzählt er ihr, werde von seinen Versuchstieren überaus gut vertragen und entfalte noch dazu zahlreiche positive Wirkungen: Sie kurbele nicht nur den Endorphinhaushalt an, sondern fördere auch die Konzentration und senke Schlafbedürfnis und Appetit. Das Wichtigste aber sei: Krebsgeschwüre lösten sich einfach in Luft auf. Von Eiligsen litt selbst an einem Gehirntumor und konnte sich dank einer mehrwöchigen Therapie mit dem Präparat von seinem Krebs heilen.

Die anderen Bargäste gratulieren artig, als sie von seinem wissenschaftlichen Durchbruch erfahren, allen voran Hausmann Bernhard mit Gattin Adele, ihres Zeichens Chefredakteurin eines Lifestylemagazins. Sie horcht auf, als es um all die schönen Nebenwirkungen geht und verabredet sofort ein Interview. Die Künstlerin Bella schöpft derweil neue Hoffnung: Ihre Mutter hat Brustkrebs und eine sehr schlechte Prognose.

Von Eiligsen gibt Adele ihr Interview und hüpft auch bei ihren Kollegen von Pressetermin zu Pressetermin. Plötzlich geht alles ganz schnell: Fachwelt und Öffentlichkeit sind entzückt – natürlich auch von der zu erwartenden Produktivitätssteigerung bei gleichzeitig hohem Wohlbefinden, die mit dem Gebrauch des vermeintlich harmlosen Mittels einhergehen soll. MESH wird im Eilverfahren zugelassen und ist bald das Standardmittel im Kampf gegen Krebs.

Bellas Mutter erhält als eine der ersten eine MESH-Therapie und wird wieder gesund. Zum Dank verspricht Bella von Eiligsen eine Skulptur zu seinen Ehren. Gleichzeitig nehmen immer mehr Menschen MESH wegen seiner gesellschaftlich hoch erwünschten Nebenwirkungen. Auch unsere Protagonisten verfallen dem Charme der neuen Leistungsdroge. Besonders Adele verfängt sich im Netz des ständig schneller, besser, weiter Arbeitens.

Bernhard fühlt sich zunehmend allein und weint sich bei Esmeralda aus. Schließlich erwägt er sogar fremdzugehen und arrangiert beim Escort-Service „New Models“ ein Treffen, nur um verdutzt festzustellen, dass er das Mädchen aus Esmeraldas Bar kennt: Es ist Antonia, die sich ihr Studium mit den Escort-Jobs finanziert. Die beiden verzichten auf das professionelle Tête-à-tête und betrinken sich stattdessen mit Champagner. Für Bernhard eine der schönsten Nächte seit sehr langer Zeit.

Währenddessen boomt die Wirtschaft angesichts des neuen Produktivitätsschubs. MESH ist aus dem Alltag der meisten Menschen nicht mehr wegzudenken. Einige aber äußern vorsichtige Zweifel an dessen Harmlosigkeit. Toni hat MESH wieder abgesetzt, nachdem ihr dauernd übel war, auch Esmeralda verträgt es nicht. Adele macht sich über sie lustig, ihr ging es nie besser! Und das ganze Gerede von möglicherweise doch vorhandenen bösen, bösen Nebenwirkungen sei doch lächerlich. Adele wirkt zunehmend kantig und grau. Ihr ist anzusehen, dass sie viel arbeitet und wenig isst und schläft. Die meisten MESH-User sehen nach ein paar Monaten so aus.

Die Mehrheit also, die sich nun aus vielen Grauen Herren und Damen zusammensetzt, vertraut der Wissenschaft. Doch diese, in Gestalt von von Eiligsen, ist sich ihrer Sache gar nicht mehr so sicher. Aus der Zeitung erfährt er, dass die Libido bei vielen MESH-Nutzern gleich Null sei. Außerdem soll es erste Fälle von Impotenz und Unfruchtbarkeit gegeben haben, die mit der Substanz im Zusammen-hang stehen könnten. Sogar von paranoiden Schüben und der Verstärkung von manisch-depressiver Veranlagung ist die Rede. Seine Ratten hatten mit so etwas keine Probleme. An von Eiligsen beginnt ein unangenehmer Zweifel zu nagen.

Und die Künstlerin Bella quält eine Schaffenskrise: Die versprochene Skulptur wird einfach nicht fertig und das, was schon fertig ist, gefällt Bella nicht. Auch die doppelte Dosis MESH kann nichts daran ändern, dass ihre Kreativität versickert ist. In einem letzten Aufbäumen zerstört sie die Skulptur. Danach ist Bella nur noch ein Schatten ihrer selbst und beginnt zu trinken. Bernhard sucht erneut bei Toni Trost, da Adele inzwischen vollkommen neben der Spur ist: Fahrig und paranoid arbeitet sie nur noch von Zuhause aus, die Kinder dürfen nach 17 Uhr nicht mehr aus der Wohnung, sie hat sich eine Pistole gekauft. Bernhard bleibt mit den Kindern nur die Flucht ins Hotel.

Draußen in der Welt flaut der Boom ab: Die Leute arbeiten ja lieber als ihr Geld auszugeben. Die Kolleginnen von Toni gehen immer häufiger leer aus, die Umsätze sinken ins Bodenlose. Das Credo von MESHern wie Adele lautet nun: Wir brauchen keine neuen kreativen Leistungen oder „Spaß“, wir brauchen Stabilität und Sicherheit, alles andere ist eine Gefahr für unsere Produktivität! Toni beschließt, dass es so nicht weitergehen kann. Sie holt ihre Escort-Truppe und Esmeralda mit ins Boot und gründet die New Model Army (die fast den Namen Scissor Sisters getragen hätte). Bald darauf startet die Operation Netzstrumpf, die sich gegen MESH und seine Verbreitung richtet. Als von Eiligsen sich umzubringen versucht, rettet ihn Esmeralda und überzeugt ihn, sein Insiderwissen der NMA zur Verfügung zu stellen. Nach ersten Plakat-Aktionen und MESH-Diebstählen wird jedoch klar, dass Esmeralda und Toni in den Untergrund gehen müssen. Die MESHer verstehen keinen Spaß, wenn es um ihre Droge geht. Jetzt wird es ernst.

© 2012 Julia Kaldenhoff